Euromosaik-Studie
Litauisch in Polen
- Allgemeine Informationen
- Sprache
- Geschichte, Geografie und Demografie
- Gesetzlicher Status und offizielle Politik
- Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen Bereichen
- Schule
- Gerichtsverhandlungen
- Behörden und sonstige offizielle Stellen
- Massenmedien und Informationstechnologie
- Kunst und Kultur
- Wirtschaft
- Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
- Die europäische Dimension
- Zusammenfassung
1. Allgemeine Informationen
1.1 Sprache
Litauisch (Autoglottonym: lietuvių kalba / lietuvišku) ist verwandt mit der
lettischen Sprache. Sie zeichnet sich durch viele überlieferte altertümliche
grammatische Formen aus, die sich zum Teil auch im Sanskrit wiederfinden; unter
allen lebenden europäischen Sprachen ist Litauisch am nächsten mit dem indischen
Zweig der indoeuropäischen Sprachen verwandt. Besondere Verdienste um die
Erforschung des Litauischen erwarb sich im 19. Jahrhundert August Schleicher,
der als Philologieprofessor an der Prager Universität 1856/57 das erste
wissenschaftliche Handbuch der litauischen Sprache in 2 Bänden veröffentlichte.
1.2 Geschichte, Geografie und Demografie
Die Bildung mehrerer politischer Unionen mit dem Großherzogtum Litauen (Union
von Krewa 1385, Union von Horodło 1413 und Union von Lublin 1569) führte zur
Polonisierung der ruthenischen und litauischen Bevölkerung in Polen. Der größte
Teil war das historische Gebiet des Großherzogtums Litauens. Seine Einwohner
gehörten verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen an. Die
wichtigsten waren die Ruthenen (heute Weißrussen und Ukrainer), die sich zum
byzantinischen Katholizismus bekannten. Die litauisch und lettisch sprechenden
Bewohner lebten in den nördlichen Regionen. Wegen des traditionell großen
polnischen Einflusses und der Tatsache, dass Polen Litauen beherrschten, waren
die Polen normalerweise die Grundbesitzer in diesen Gebieten, obwohl sie nur in
den Regionen von Wilna [Vilnius] und Gardinas [Grodno] die Mehrheit ausmachten.
Der Gesamtprozentsatz der Polnisch sprechenden Einwohner im Großherzogtum
Litauen lag ungefähr bei 15%. Der Anteil der Juden war etwa gleich groß. Während
der Teilungen (1772-1795) wurde dieses Gebiet dem russischen Reich einverleibt.
Nach Zahlen der letzten Volkszählung 2002 rechnen sich 5.864 Einwohner zur
litauischen Nationalität.
Schätzungen unterschiedlichster Quellen beziffern die Litauer auf ca. 30.000
(Association For Civic Media 2003; Handbook on Contact Linguistics 1996). Die
größte Anzahl der litauischen Bevölkerung (84%) lebt in der Provinz Podlachien
im Amtsbezirk Puńsk [Punskas], im Amtsbezirk Sejny [Seinai] (38%) und etwas
weniger im Amtsbezirk Szypliszki [Šipliskia]. Viele Litauer siedelten sich in
der Stadt Suwalki an. Ein anderer Teil der polnischen Litauer verteilte sich
während der Migration oder der Immigration über ganz Polen, insbesondere im
nördlichen und südwestlichen Teil des Landes (Gdingen, Allenstein, Stettin und
Breslau). Zahlreiche Litauer leben in der Hauptstadt Warschau.
1.3 Gesetzlicher Status und offizielle Politik
Im Artikel 35 der Verfassung ist der Erhalt und die Entwicklung der
litauischen Sprache gewährleistet (vgl. Länderbericht).
Darüber hinaus gibt es einen bilateralen Vertrag mit der Litauischen Republik
über gute nachbarschaftliche Beziehungen [Traktat między Rzecząpospolitą Polską
a Republiką Litewską o dobrym sąsiedztwie, przyjaznych stosunkach i współpracy
(1. Jan. 1992)].
2. Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen
Bereichen
2.1 Schule
Grundlage für den Gebrauch des Litauischen in der Schule ist das Dekret des
Ministers für nationale Erziehung und Sport von 2002 (vgl. Länderbericht). Im
Amtsbezirk Puńsk gibt es fünf Hauptschulen (in Punskas, Wojtokiemie/Vaitakiemis,
Przystawańce/Pristavoniai, Nowininki/Navininkai und Widugiery/Vidugiriai), an
denen in Litauisch unterrichtet wird. Je zwei solcher Schulen befinden sich im
Amtsbezirk Seinai sowie in den Dörfern Krasnagruda und Krasnavas. In Punskas
gibt es die einzige litauische Mittelschule in Polen - das Gymnasium Kovo 11-oji
Puńsk. An mehreren Schulen des Amtsbezirkes Seinai, der Städte Seinai und
Suwałki wird Litauischunterricht fakultativ erteilt. Etwa 800 Schülern wird der
Unterricht in Litauisch erteilt (mit Ausnahme der allgemeinen Geschichte und der
Geschichte Polens). 150 Schüler lernen hier fakultativ Litauisch. In Warschau
gibt es eine litauische Samstagsschule. Die Adam Mickiewicz Universität in Posen
besitzt einen Lehrstuhl für litauische Sprache, und seit 1990 gibt es einen
Lehrstuhl für baltische Philologie.
2.2 Gerichtsverhandlungen
Es können bei Unkenntnis der polnischen Sprache litauischsprachige
Dolmetscher angefordert werden (vgl. Länderbericht).
2.3 Behörden und sonstige offizielle Stellen
Da Polnisch die offizielle Sprache ist, spielt Litauisch keine besondere Rolle
bei offiziellen Behörden – ebenso kaum auf lokaler Ebene, wenn, dann nur im
inoffiziellen Umgang (vgl. Länderbericht).
2.4 Massenmedien und Informationstechnologie
Es gibt keine Tageszeitungen in litauischer Sprache.
Aušra ist eine Zeitschrift in
litauischer Sprache mit 1.500 Exemplaren. Litauische Themen werden nur vom
polnischen
Radiosender Białystok wöchentlich 30 Minuten gesendet. Litauische Radio- und
Fernsehprogramme aus Litauen können von der Minderheit in Polen empfangen werden.
2.5 Kunst und Kultur
Von 1997 bis 2002 erschienen 15 Bücher in litauischer Sprache, im Jahr 2002
waren es drei Bücher und 2003 nur ein Buch. Die Bücher kommen meistens im
Bereich Schulbücher, Kinderbücher und Novellen vor. In Punskas gibt es das
Litauische Kulturhaus. Hier wirkt der gemischte Chor Dzukija, die
Volkstanzgruppe Klumpe, das Tanzkunstensemble Jotva sowie ein Scheunentheater.
Derzeit wird ein neues modernes Kulturhaus gebaut, aber wegen Mangels an
Geldmitteln ist das Gebäude bereits das zehnte Jahr im Bau. In Seinai wurde das
Litauische Kulturzentrum eröffnet, dessen Bau durch die Regierung Litauens
finanziert wurde. Es gibt eine ganze Reihe von Jugendensembles (in den
Amtsbezirken Punskas und Seinai. Eines der populärsten Ensembles ist das
Vokalquartett Šešupe. Am Punskaser Gymnasium wirkt das Ensemble Ulbuoneles. Die
litauische Gesellschaft für ethnische Kultur betreut vier ethnographische und
Volkskunstensembles: Salcinelis, Alna, Gimtine und das ethnographische Ensemble
Dusnycia. In Punskas gibt es ein Völkerkundemuseum, das von dem Ethnographen
Juozas Vaina aus der Region Punskas gegründet wurde. Dank seiner Bemühungen
wurden viele einzigartige Gegenstände gesammelt. J.Vaina gab eine
Volkskunstsammlung Von Punskas bis Seinai in zwei Bänden heraus. Zusammen mit
Sigitas Birgelis wurde das Album „Die materielle Kultur der Region
Punskas-Seinai“ vorbereitet und veröffentlicht. Sąskrydis ist das jährliche
traditionelle Folklorefest für litauische Gruppen aus Polen und Litauen.
2.6 Wirtschaft
Das Siedlungsgebiet der Litauer hat keine nennenswerte Industrie, sondern ist
rural ausgerichtet.
2.7 Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
5.838 Menschen geben in der Volkszählung von 2002 an, Litauisch auch als
Heimsprache zu verwenden. Allerdings gehen die Einwohnerzahlen der litauischen
Dörfer durch die schwache wirtschaftliche Situation der Region ständig drastisch
zurück.
Die älteste litauische Organisation ist die Litauische Gesellschaft Polens [Lenkijos
lietuvių draugija], die 1992 aus der litauischen öffentlichen Kulturgesellschaft
umstrukturiert wurde. Die Tätigkeit der Gesellschaft umfasst die Gebiete Bildung,
Kultur, Denkmalschutz und Verlagswesen. Seit 1960 wird die periodische
litauische Druckschrift Aušra herausgegeben. Die litauische St.
Kasimir-Gesellschaft [Šv. Kazimiero draugija], deren Zentrum sich in Seinai
befindet, nahm am 25. Mai 1990 ihre Tätigkeit auf. Ziel der Gesellschaft ist es,
die Traditionen der St. Kasimir-Gesellschaft, die vor dem Zweiten Weltkrieg in
Polen gewirkt hat, zu pflegen und fortzusetzen – das heißt die Jugend zu
betreuen und zu erziehen. Die Gesellschaft hat 11 Abteilungen, die 458
Mitglieder vereinen. Die litauische Gemeinschaft Polens [Lenkijos lietuvių
bendruomenė, LLB] wurde am 1. April 1993 aus der Taufe gehoben. Deren Entstehung
und Bestimmung prädestinierten die in Polen zu jener Zeit eingetretenen
Veränderungen. Die LLB vereint die im Lande wirkenden litauischen Organisationen,
Bildungs-, Kultur- und andere öffentliche Institutionen und ist bemüht, deren
Interessen in Polen, Litauen und in der Gemeinschaft der Litauer der Welt besser
zu vertreten. Der Litauische Jugendverein [Lenkijos lietuvių jaunimo sąjunga] in
Polen stellt einen strukturellen Bestandteil der LLB dar, der aber selbständig
handelt. Die Litauische Gesellschaft für ethnische Kultur [Lenkijos lietuvių
etninės kultūros draugija] wurde 1997 ins Leben gerufen.
2.8 Die europäische Dimension
Die Litauer aus Polen unterhalten enge Beziehungen zu Litauen. In der Sowjetzeit
hatten sie Kontakte mit den Litauern aus dem Westen und bemühten sich,
Information bzw. Druckschriften nach Litauen zu übermitteln.
3. Zusammenfassung
Aufgrund der ökonomischen und strukturellen Unterentwicklung und der auch
seit 1989 weiterhin sehr schlechten wirtschaftlichen und z. T. auch schwierigen
politischen Situation in den Siedlungsgebieten der Litauer in Polen ist deren
Situation als prekär einzuschätzen, zumal die Geburten in diesen ländlichen
Regionen rückgängig sind bzw. Abwanderungen stattfinden.
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