WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
de en fr  
Kontakt   |   Suche   
 


Euromosaik-Studie

Polnisch in Litauen

  1. Allgemeine Informationen
    1. Sprache
    2. Geschichte, Geografie und Demografie
    3. Gesetzlicher Status und offizielle Politik
  2. Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen Bereichen
    1. Schule
    2. Gerichtsverhandlungen
    3. Behörden und sonstige offizielle Stellen
    4. Massenmedien und Informationstechnologie
    5. Kunst und Kultur
    6. Wirtschaft
    7. Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
    8. Die europäische Dimension
  3. Zusammenfassung

 

1. Allgemeine Informationen

1.1 Sprache

Als slawische Sprache ist Polnisch [język polski] eng verwandt mit Kaschubisch, Tschechisch und Slowakisch, mit denen es den lechitischen Zweig der westslawischen Sprachgruppe bildet. Das 16. Jahrhundert gilt als „goldenes Zeitalter“ der polnischen Schriftsprache. Zu dieser Zeit erschienen die erste polnische Grammatik von Stojenski-Statorius (Polonicae grammatices institutio, 1568) sowie verschiedene Wörterbücher. Etwa 45 Millionen Menschen sprechen Polnisch, von denen die meisten (ca. 37 Millionen) in Polen leben. In Litauen führte der Kontakt zwischen Litauisch und Polnisch auch zum so genannten po-prostemu (Volkssprache), das von den Einheimischen weder als Polnisch noch als Litauisch aufgefasst wird. Studien zu Mikrostandorten in Vilnius haben gezeigt, dass es immer noch schwierig ist zu bestimmen, wer sich als ein die ‚Volkssprache’ sprechender ‚Einheimischer’ und wer als ein einen polnischen Dialekt sprechender Pole sieht. Daher liegen keine objektiven Daten über die linguistische Klassifizierung der Bevölkerung dieser Region vor, und die Zahlen des Zensus sind mit Vorsicht zu betrachten.

Seitenanfang

1.2 Geschichte, Geografie und Demografie

Die Geschichte der Polen in Litauen geht im Wesentlichen auf das 14. Jahrhundert zurück, als Litauen eine Allianz mit Polen schloss, welche sich zum polnisch-litauischen Staatenbund (1569 – 1795) entwickelte. In dieser Zeit dominierte die polnische Kultur im Bezirk Vilnius. Seit 1795 gehörte der Bezirk zum Russischen Reich und wurde nach dem Ersten Weltkrieg Teil Polens. Infolge des Molotov-Ribbentrop-Pakts fiel er 1939 zurück an Litauen. Als der Sejm/Seimas 1697 ein Gesetz verabschiedete, mit dem Polnisch zur Sprache des Großfürstentums Litauen gemacht wurde, stieg das Ansehen der polnischen Sprache (als die Sprache des Kleinadels, der so genannten szlachta) im Gegensatz zum Litauischen, das als Sprache der Bauern galt. Da das Polnische ein höheres Ansehen genoss und auch von der katholischen Kirche verwendet wurde, polonisierte sich ein Teil der litauischen Bevölkerung, insbesondere in der Region Vilnius. Verschiedene Linguisten machen darauf aufmerksam, dass die Unterscheidung zwischen Polen und Litauern fast ausschließlich auf wirtschaftlichem Status und Religion beruhte. Die Identifizierung mit dem Polnischen spiegelte ausschließlich den Status wider und nicht unbedingt die ethnische Identität.

Die Polen leben in ganz Litauen, doch die größten Gruppen (90 % aller Polen) sind in Vilnius (18,7 % der Einwohner sind Polen) und weiter im Bezirk Vilnius und den Bezirken Švenčionys, Trakai, Šalčininkai und Varėna zu finden. Einige Polen leben auch in der Nähe der polnisch-litauischen Grenze.

Laut der Volkszählung von 2001 sind die Polen die größte Minderheit Litauens. Insgesamt 234.989 Personen oder 6,74 % der Gesamtbevölkerung zählen sich zu dieser Minderheit.

Seitenanfang

1.3 Gesetzlicher Status und offizielle Politik

Das litauische Gesetz über die Staatssprache sichert den Status des Litauischen im öffentlichen Leben. Im Amtsverkehr können auch andere Sprachen verwendet werden; entweder in Form von Übersetzungen oder – gemäß dem Gesetz über nationale Minderheiten (Artikel 4) – bei lokalen Behörden und Einrichtungen in Verwaltungseinheiten mit einer geschlossenen nationalen Minderheit neben der Amtssprache. Mit Artikel 37 der Verfassung und Artikel 1 des Gesetzes über nationale Minderheiten erhalten nationale Minderheiten das Recht, ihre Sprache zu pflegen, und sie gewährleisten, dass die Minderheitensprachen respektiert werden. Das Gesetz über die Staatssprache ermöglicht ethnischen Minderheiten, ihre Sprache in der Bildung, Kultur sowie im Radio und Fernsehen zu verwenden. Einige polnische Organisationen betrachten es als ihre Aufgabe, die Umsetzung der gesetzlichen Bestimmungen zu einem gewissen Grad zu gewährleisten.

Der Sozial- und Kulturverband der Polen in Litauen wurde 1988 mit dem Ziel gegründet, die polnische Identität der litauischen Polen wiederzubeleben und zu schützen. 1989 wandelte sich die Organisation zu einer Nationalbewegung mit einigen tausend Anhängern und änderte ihren Namen in ‚Verband der Polen in Litauen’ [Związek Polaków na Litwie – ZPL]. Politisch unterstützt wird der ZPL (mit ca. 10.000 Mitgliedern die größte polnische soziale Organisation) heute von der Wahlkampagne litauischer Polen [Akcja Wyborcza Polaków na Litwie - AWPL], die 1996 gemäß dem Gesetz über das Wahlsystem der Republik Litauen gegründet wurde. Die AWPL stellt derzeit zwei Parlamentsmitglieder (Parlamentsgruppe der Liberaldemokraten). Der Gegenpol zum ZPL ist vor allem der ‚Kongress litauischer Polen’ [Kongres Polaków Litwy – KPL], der 1995 von polnischen Aktivisten gegründet wurde, die aus dem ZPL ausgeschlossen worden waren. Der KPL möchte einflussreiche Gruppen bilden und die Teilnahme der Polen an der Wirtschaft und Bildung des Landes erhöhen. Ein Mitglied des KPL ist Parlamentsabgeordneter auf der Liste der Sozialdemokratischen Koalition. Die Polen sind nicht nur im Parlament vertreten, sondern haben auch Einfluss auf lokaler Ebene. Die AWPL verwaltet die Bezirke Vilnius und Šalčininkai. Und auch in den Gemeinderäten von Švenčionys und Trakai haben die Polen einflussreiche Fraktionen.

Seitenanfang

2. Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen Bereichen

2.1 Schule

Das Gesetz über die Änderung des Bildungsgesetzes (2003) gewährleistet den nationalen Minderheiten das Recht auf Bildung in ihrer eigenen Sprache. Die polnische Minderheit macht von diesen Rechten Gebrauch. Im Schuljahr 2003/2004 gab es 83 polnische, 14 litauisch-polnische, 18 russisch-polnische und acht litauisch-russisch-polnische Schulen. Insgesamt 13.813 Schüler besuchen Schulen mit Polnisch als Unterrichtssprache und 7.201 Schüler gemischte Schulen, an denen Polnisch eine der Unterrichtssprachen ist. Seit 2001 gibt es elf polnische Sonntagsschulen, an denen die Kinder ihre Kenntnisse der polnischen Sprache, Geschichte, Religion und Volkskultur vertiefen könnten. An Hochschulen werden etwa 200 Studenten (teilweise) auf Polnisch unterrichtet. Einige von ihnen besuchen die Hochschulen für Landwirtschaft in Vilnius und Seiveniškės. Zwei Universitäten in Vilnius (Universität Vilnius und pädagogische Universität Vilnius) bieten ein Programm für Lehrer der polnischen Sprache. Die litauische und die polnische Regierung organisieren gemeinsam einen Lehreraustausch. Seit Anfang der 1990er gehen etwa 80 Studenten pro Jahr zum Studium nach Polen. Der 1990 gegründete Verband der polnischen Lehrer in Litauen [Polska Macierz Szkolna] regelt die polnische Bildung. Er ist einer der größten Verbände in Litauen und organisiert Qualifizierungskurse und Methodologieseminare für Pädagogen an Schulen mit Polnisch als Unterrichtssprache. Darüber hinaus werden Sommerlager für polnische Kinder, Exkursionen nach Polen und Jugendwettbewerbe veranstaltet. Einige Jahre lang bemühte sich der polnische akademische Verband, in Vilnius eine polnische Universität zu gründen. Bisher haben die Bemühungen des Verbandes nicht zu einer offiziellen Anerkennung der polnischen Universität in Vilnius geführt. Im Allgemeinen verbessern sich die materiellen Bedingungen für die polnische Bildung in Litauen beständig.

Seitenanfang

 

2.2 Gerichtsverhandlungen

Artikel 8 des litauischen Gesetzes über die Staatssprache besagt, dass Gerichtsverhandlungen in Litauen in der Staatssprache erfolgen sollen. Prozessteilnehmern, welche die Staatssprache nicht beherrschen, wird kostenlos ein Dolmetscher gestellt.

Seitenanfang

2.3 Behörden und sonstige offizielle Stellen

Laut Artikel 4 des Gesetzes über nationale (ethnische) Minderheiten ist die Minderheitensprache (lokale Sprache) neben der Amtssprache bei lokalen Behörden und Einrichtungen in Verwaltungseinheiten mit einer geschlossenen nationalen Minderheit zu verwenden. Statistiken zufolge wird von diesen Bestimmungen Gebrauch gemacht. Eine Umfrage von 1997 über „Ostlitauen und die Amtssprache“ offenbarte, dass ca. 48,3 % der Polen in öffentlichen Einrichtungen Polnisch sprechen.

Seitenanfang

2.4 Massenmedien und Informationstechnologie

Polnisch ist in den Printmedien präsent. Es gibt eine polnische Tageszeitung (Kurier Wileński), zwei polnische Wochenzeitungen (Nasza gazeta, Zeitung des ZPL; und Przyjaźń), eine polnische Monatszeitschrift (Magazyn Wilenski), eine zweimonatliche (Spotkania), eine vierteljährliche (Znad Wilii) und eine unregelmäßig erscheinende Zeitschrift (W kręgu kultury). Die Auflage der polnischen Presse in Litauen liegt selten über 5.000 Exemplaren. Der Verlag Magazyn Wileński veröffentlicht Bücher auf Polnisch, und die Gesellschaft der polnischen Gelehrten gibt Forschungsergebnisse heraus. Zu den polnischen Büchern zählen Arbeiten über bedeutende historische Persönlichkeiten wie den Politiker Pilsudski sowie die Poeten Galczinsky und Mickewicz. Das litauische Ministerium für Bildung und Wissenschaft finanziert polnische Schulbücher.

Das zweite Programm des litauischen Radios sendet regelmäßig die 1,5-stündige Sendung Vaivorykštė [Regenbogen], in der kulturelle, linguistische, pädagogische und andere Alltagsfragen der verschiedenen Volksgruppen in Litauen behandelt werden. Ein Teil der Sendung (30 Minuten) wird auf Polnisch ausgestrahlt. Neben dem öffentlichen Radio gibt es in Litauen auch private Radiosender, die Programme in Minderheitensprachen senden. Der 1992 gegründete Radiosender Znad Wilii strahlt rund um die Uhr polnisches Programm aus (manchmal auch auf Russisch und Litauisch). Einige polnische Radiosender können über das Internet empfangen werden.

Das öffentliche Fernsehen strahlt die Sendung Rozmowy Wileńskie aus. In Gebieten mit einem größeren Minderheitenanteil senden einige private Lokalsender Programme in der jeweiligen Minderheitensprache. Das Regionalfernsehen in Vilnius produziert das Programm Co Slychać für Polen. Darüber hinaus produzieren Privatsender Nachrichtenprogramme auf Polnisch, und es besteht die Möglichkeit, über Relais Fernsehprogramme aus Polen zu empfangen.

Auf der Website www.polonia.org/litwa.htm sind praktische Informationen über polnische Organisationen in Litauen zusammengetragen. Im Allgemeinen sind polnische Organisationen und Verbände in Litauen eher schwach im Internet vertreten.

Seitenanfang

2.5 Kunst und Kultur

Derzeit gibt es in Litauen 54 polnische öffentliche Organisationen. Die größte ist der Verband litauischer Polen mit elf lokalen Zweigstellen. Weitere Organisationen sind der Verband der Lehrer an polnischen Schulen in Litauen [Macierz szkolna], das Kulturzentrum S. Moniuszka litauischer Polen, die Wissenschaftsgesellschaft um Kultur und Bildung bemühter litauischer Polen, die Gesellschaft des polnischen medizinischen Personals, die Gesellschaft der polnischen Frauen in Litauen und die katholische Gesellschaft litauischer Polen.

Neben den öffentlichen Organisationen gibt es etwa 60 Kunstgruppen aus den Bereichen Musik, Tanz und Theater. Sie nehmen an Festivals teil, darunter das Amateurkunstfestival Kwiaty Polski [Polnische Blumen] in der Region Vilnius, der Tag der Poesie der litauischen Polen [Maj nad Wilia], das polnische Musikfestival, das S.-Moniuszka-Musikfestival und das Festival der Sonntagsschulen.

Die größte Jugendorganisation ist der Verband der polnischen Pfadfinder in Litauen (ZHPL). Wie die übrigen polnischen Organisationen konnte auch dieser Verband mit 600 polnischen Pfadfindern eine Teilung nicht vermeiden. Eine weitere Jugendorganisation ist der Touristikklub der Wanderer aus Vilnius (50 Mitglieder). Beide Jugendorganisationen arbeiten mit dem KPL zusammen. In den vergangenen Jahren wurden mehrere neue polnische Organisationen gegründet, z. B. der Verband polnischer Studenten, das Jugendforum, der alternative Jugendklub und der Wanderklub der Senioren. Oft pflegen polnische Organisationen in Litauen enge Kontakte mit ähnlichen Organisationen in Polen.

Das Haus der Polen in Vilnius dient als Zentrum für verschiedene Aktivitäten polnischer Organisationen. Ähnliche Häuser gibt es in Druskininkai und Eišiškes. Litauische Museen, Archive und Bibliotheken verfügen über Sammlungen des polnischen kulturellen und historischen Erbes. In verschiedenen litauischen Städten werden Projekte zur Wiederherstellung polnischer Denkmäler durchgeführt.

Seitenanfang

2.6 Wirtschaft

Der Unternehmerklub Vilnius wurde 1993 gegründet und vereint 15 Unternehmer polnischer Herkunft. Ziel des Klubs ist es, Wirtschaftsvorhaben litauischer Polen zu fördern, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Litauen und Polen weiter zu entwickeln und zu festigen sowie wirtschaftliche Netzwerke zu schaffen, um den Austausch täglicher Arbeitserfahrungen zwischen litauischen und polnischen Unternehmern zu erleichtern. Im Jahr 1995 wurde der Erste Verband litauischer Polen mit 418 Mitgliedern gegründet, von denen 20 % ein eigenes Unternehmen in Litauen führen. Der Verband verfügt über ein Guthaben von zwei Millionen Lita. Einige Geschäftsleute des Verbands nehmen dort Kredite auf, um mit ihrem Unternehmen in Litauen und im Ausland zu expandieren.

Seitenanfang

2.7 Familie und sozialer Gebrauch der Sprache

Laut der Volkszählung von 1989 gaben 60 % der Polen Russisch als Muttersprache an. Dieser Anteil könnte damals jedoch etwas übertrieben gewesen sein, denn heute wird die Anzahl der Polen mit Russisch als Muttersprache auf ein Drittel geschätzt. Zuverlässige Daten über die Weitergabe des Polnischen von Generation zu Generation liegen allerdings nicht vor.

Seitenanfang

2.8 Die europäische Dimension

Die Regierung der Republik Litauen und die Regierung der Republik Polen unterzeichneten 1998 ein Abkommen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Bildung und Wissenschaft. Weitere bilaterale Verträge können auf der Website des litauischen Außenministeriums abgerufen werden.

Seitenanfang

3. Zusammenfassung

Die Polen sind neben den Russen die größte nationale Minderheit Litauens. Insgesamt 234.989 Personen (ca. 6,74 % der Bevölkerung) gaben in der Volkszählung von 2001 an, der polnischen Volksgruppe anzugehören. Die Polen engagieren sich in verschiedenen Organisationen, die neben der Präsenz des Polnischen in den Medien und an Schulen nach Erlangung der Unabhängigkeit Litauens wesentlich zur Wiederbelebung der polnischen Identität der litauischen Polen beitrugen. Schätzungsweise verwenden immer noch 30 % der Polen in Litauen Polnisch als Muttersprache.

 

zuletzt aktualisiert: 27-10-2006