Euromosaik-Studie
Kroatisch in Ungarn
- Allgemeine Informationen
- Sprache
- Geschichte, Geografie und Demografie
- Gesetzlicher Status und offizielle Politik
- Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen Bereichen
- Schule
- Gerichtsverhandlungen
- Behörden und sonstige offizielle Stellen
- Massenmedien und Informationstechnologie
- Kunst und Kultur
- Wirtschaft
- Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
- Die europäische Dimension
- Zusammenfassung
1. Allgemeine Informationen
1.1 Sprache
Neben Serbisch, Slowenisch, Bulgarisch und Mazedonisch gehört Kroatisch [hrvatski
jezik] zum südslawischen Zweig der slawischen Sprachfamilie. Kroatisch ist eng
verwandt mit dem Serbischen und wird von ca. 5,8 Millionen Menschen gesprochen,
von denen die meisten in Kroatien leben (4,8 Millionen). Das Kroatische in
Ungarn ist stark von ungarischen Einflüssen geprägt und unterscheidet sich daher
von der in Kroatien gesprochenen Variante.
1.2 Geschichte, Geografie und Demografie
Die Vorfahren der heute in Ungarn lebenden Kroaten immigrierten zwischen ca.
1102 und 1918 infolge der kroatisch-ungarischen Personalunion kontinuierlich in
ihre heutigen Siedlungen. Die meisten Kroaten kamen zwischen 1520 und 1579 nach
Ungarn (während der türkischen Besatzung). Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ließ
die Immigration allmählich nach und kam praktisch zum Stillstand, als sich
Kroatien 1918 Jugoslawien anschloss.
Die meisten Kroaten leben heute in kleinen Siedlungen in der nähe der
ungarisch-kroatischen Grenze in den südlichen und westlichen Landkreisen Branau,
Sala, Eisenburg, Raab-Ödenburg und in der Batschka. Größere kroatische Gemeinden
sind auch im Zentrum des Landes ansässig.
Die Größe der kroatischen Minderheit in Ungarn beträgt schätzungsweise 15.620
(nach den vorläufigen Ergebnissen der Volkszählung von 2001) bzw. 90.000
Personen (Minderheitenorganisationen zufolge - Tabelle 1 im
Länderbericht). Etwa 9 % der Angehörigen der kroatischen Minderheit fallen
in die Altersgruppe ‚0-14’, etwa 28 % in die Altersgruppe ‚15-39’, etwa 34 % in
die Altersgruppe ‚40-59’ und etwa 28 % in die Altersgruppe ‚60+’. Von den 38 %
berufstätigen Kroaten (Zensus von 2001) arbeiten 4 % im primären, 32 % im
sekundären und 56 % im tertiären Wirtschaftssektor.
1.3 Gesetzlicher Status und offizielle Politik
Informationen zum gesetzlichen Status des Kroatischen und zur offiziellen
Politik bezüglich des Kroatischen in Ungarn finden sich in Abschnitt 3 des
Länderberichts.
2. Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen
Bereichen
2.1 Schule
Im Schuljahr 1999/2000 gab es 37 kroatische Grundschulen. Ingesamt besuchten
253 Schüler muttersprachliche Vorschulen (erste Kategorie des
Vorschulunterrichts für Minderheiten - 3.11 im Länderbericht)
und 1.135 Schüler die zweisprachigen Vorschulen (zweite Kategorie des
Vorschulunterrichts für Minderheiten - 3.11 im Länderbericht).
Im gleichen Schuljahr war an 34 Schulen eine kroatische Grundschulausbildung
möglich. Muttersprachliche Grundschulen besuchten 319 Schüler (erste Kategorie
des Grundschulunterrichts für Minderheiten - 3.12 im
Länderbericht) und 2.207 Schüler nahmen an kroatischem Sprachunterricht teil
(dritte Kategorie der des Grundschulunterrichts für Minderheiten - 3.12 im
Länderbericht). Sekundarschulbildung auf Kroatisch wurde
an zwei Schulen angeboten. Muttersprachliche bzw. zweisprachige Gymnasien
besuchten 219 Schüler. Im Schuljahr 1999/2000 studierten 93 Studenten Kroatisch
an Hochschulen. Im Schuljahr 2000/2001 erhielten 15 Studenten Stipendien der
ungarischen Regierung, um in Kroatien studieren zu können. Kroatische
Kindergartenerzieher werden ausgebildet an der pädagogischen Hochschule Eötvös
József in Frankenstadt [Baja], der geistes- und naturwissenschaftlichen
Universität in Fünfkirchen [Pécs], der pädagogischen Fakultät der Hochschule
Illyés Gyula in Szekszárd und an der Universität Westungarn (pädagogische
Fakultät der Hochschule Benedek Elek in Ödenburg [Sopron]). Eine Ausbildung für
Grundschullehrer wird in der Hochschule Eötvös József in Frankenstadt und für
Sekundarschullehrer an der geisteswissenschaftlichen Fakultät (BTK) der geistes-
und naturwissenschaftlichen Universität (ELTE) Eötvös Lóránt in Budapest
angeboten. Weitere Ausbildungseinrichtungen für Sekundarschullehrer sind die
Hochschule Berzsenyi Dániel in Steinamanger [Szombathely] und die Universität
für Geistes- und Naturwissenschaften BTK (geisteswissenschaftliche Fakultät) in
Fünfkirchen. Der Verband kroatischer akademischer Forscher wurde 1995 mit dem
Ziel gegründet, wissenschaftliche Forschungsarbeit über Sprache, Kultur und
Traditionen der Kroaten in Ungarn zu leisten. Daneben beteiligt sich der Verband
an der Reform des Bildungssystems der kroatischen Minderheit und der Entwicklung
neuer Schulbücher.
2.2 Gerichtsverhandlungen
Allgemeine Informationen zu diesem Thema finden sich in Abschnitt 3.23 des
Länderberichts.
2.3 Behörden und sonstige offizielle Stellen
Allgemeine Informationen zu diesem Thema finden sich im Abschnitt 3.24 des
Länderberichts. Bezüglich des Gebrauchs des Kroatischen
in der Verwaltung hält der zweite Bericht der Republik Ungarn über die Umsetzung
der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats (Februar
2004) unter Verweis auf das Landkreisamt der Batschka der öffentlichen
Verwaltung fest, dass im Dorf Gara lokale Informationsmaterialien auf kroatische
verfügbar waren. Im Landkreis Batschka verwenden Angestellte der öffentlichen
Verwaltung mit Sprachkenntnissen die Sprache der lokalen kroatischen Minderheit
relativ häufig in der mündlichen Kommunikation. Auch im Landkreis Sala [Zala]
findet der mündliche Amtsverkehr in ausschließlich von der kroatischen
Minderheit bewohnten Siedlungen auf Kroatisch statt (Semjénháza, Molnári,
Petrivente, Tótszerdahely, Tótszentmárton). Sitzungsprotokolle, Bewerbungen und
Beschlüsse werden jedoch auf Ungarisch verfasst.
2.4 Massenmedien und Informationstechnologie
Es existiert ein staatlich finanziertes Wochenmagazin, Hrvatski Glasnik (vom
Verband der Kroaten in Ungarn). Zusätzlich zu den Verlagen Izdan und Noi
gründeten die nationale kroatische Selbstverwaltung und der Verband der Kroaten
in Ungarn ein neues kroatisches Verlagshaus – das gemeinnützige Unternehmen
Croatica – für kroatische Schulbücher und andere Veröffentlichungen. Vier
Zentralbibliotheken und ein Netz aus lokalen und Schulbibliotheken stellen
Materialien für kroatische Leser zur Verfügung.
Das öffentliche ungarische Radio sendet täglich ein regionales 90-minütiges
und ein landesweites 30-minütiges Programm auf Kroatisch. Das landesweite
Programm wird abends zwischen 18.30 Uhr und 22.30 Uhr ausgestrahlt. Das
regionale Programm wird morgens und nachmittags gesendet. Die kroatischen
Programme werden im Regionalstudio in Fünfkirchen produziert. Es liegen keine
Informationen zum Gebrauch des Kroatischen bei privaten ungarischen Radiosendern
vor.
Das öffentliche ungarische Fernsehen sendet wöchentlich das 36-minütige
Programm Hrvatska Kronika. Es wird an Werktagen zwischen 14 Uhr und 15 Uhr auf
Kanal 1 des ungarischen Fernsehens ausgestrahlt. Das Programm wird
samstagmorgens auf dem Satellitensender Kanal 2 wiederholt. Die kroatischen
Programme werden im Studio in Fünfkirchen produziert. Neben den genannten
Programmen senden die für Religion zuständigen Redakteure des öffentlichen
Fernsehens regelmäßig Messen auf Kroatisch. Es liegen keine Informationen zum
Gebrauch des Kroatischen im privaten ungarischen Fernsehen vor.
Ende 2003 waren vier Websites der Kroaten in Ungarn verfügbar. Links zu
verschiedenen kroatischen Organisationen und Einrichtungen finden sich unter
www.kisebbseg.lap.hu.
(3.22 im Länderbericht für allgemeine Informationen über
Ungarns Minderheiten und neuen Medien)
2.5 Kunst und Kultur
Die kulturellen Aktivitäten der kroatischen Gemeinde werden von nationalen,
regionalen und lokalen Organisationen und Verbänden organisiert. Verschiedene
traditionelle Ensembles, Orchester und Chöre tragen zur Erhaltung der Identität
der kroatischen Minderheit bei. Die kroatischen Gruppen Baranya, Fáklya und
Tanac sind die bekanntesten. Die kroatische Minderheit verfügt auch über ein
zentrales Museum. Ferner spielt das kroatische Theater in Fünfkirchen eine
wichtige Rolle bei der Vermittlung der kroatischen Sprache und Kultur. Seit 1994
arbeitet es unabhängig und ist derzeit das einzige Theater außerhalb Kroatiens
mit Vorführungen auf Kroatisch. Der Verband kroatischer akademischer Forscher
wurde 1995 mit dem Ziel gegründet, Forschungsarbeit über Sprache, Kultur und
Traditionen der Kroaten in Ungarn zu leisten. Die Kroaten in Ungarn knüpfen
immer mehr Kontakte zu ihrem Herkunftsland, was sich stimulierend auf die
kulturellen Aktivitäten auswirkt.
2.6 Wirtschaft
Allgemeine Informationen zu diesem Thema finden sich in Abschnitt 3.25 des
Länderberichts.
2.7 Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
Während in der Volkszählung von 1990 noch 17.577 Personen Kroatisch als ihre
Muttersprache angaben, waren es 2001 nur noch 14.345. Auch wenn die Zahlen des
Zensus mit Vorsicht zu genießen sind (2.1 im Länderbericht),
deutet dieser Rückgang um 18,4 % an, dass immer mehr Kroaten die ungarische
Sprache annehmen. Dieser Prozess begann mit dem Anschluss Kroatiens an
Jugoslawien im Jahr 1918 und der damit verbundenen Trennung der Kroaten von
ihrem Herkunftsland und setzt sich weiter fort. Die Kroaten in Ungarn sind meist
zwei- oder dreisprachig (d. h. sie verwenden Ungarisch und/oder eine lokale
Variante des Kroatischen und/oder Standard-Kroatisch). Allerdings bestehen klare
Unterschiede zwischen den Generationen: Während die ältere Generation noch
zweisprachig mit Schwerpunkt auf dem Kroatischen ist und lokale Varianten des
Kroatischen spricht, ist die jüngere Generation zweisprachig mit Schwerpunkt auf
dem Ungarischen (oder spricht nur Ungarisch). Immer weniger jüngere Menschen
beherrschen die lokalen Varianten des Kroatischen. Sie halten sich eher ans
Standard-Kroatische, das an Schulen und Universitäten sowie in den Medien
verwendet wird. Der Sprachgebrauch zwei- oder dreisprachiger Kroaten kann als
Di- oder Triglossie bezeichnet werden. Dies bedeutet, dass die meisten Kroaten
in offiziellen und öffentlichen Bereichen sowie auf der Arbeit Ungarisch
verwenden. Die lokale Variante des Kroatischen wird vorwiegend im Privatleben
(mit der Familie und engen Freunden) und in von Kroaten bewohnten Dörfern auch
in halböffentlichen Bereichen gebraucht. Die meisten Kroaten sind der Auffassung,
dass Kroatischkenntnisse für die Erhaltung der kroatischen Kultur und Identität
nicht erforderlich sind.
2.8 Die europäische Dimension
Das gemeinsame kroatisch-ungarische Minderheitenkomitee hielt in den letzten
drei Jahren zwei Sitzungen ab. Die Empfehlungen des Komitees konzentrieren sich
auf die Unterstützung der Bildung der Kroaten in Ungarn, der kulturellen
Aktivitäten der Sprecher der Minderheitensprache, der Bewahrung der Traditionen
sowie von Maßnahmen zum Schutz der Sprache der in Ungarn lebenden Kroaten.
3. Zusammenfassung
Neben der slowakischen Minderheit sind die Kroaten eine der größten
Minderheiten Ungarns. Die kroatische Minderheit wird auf ca. 15.620 (Zensus
2001) bis 90.000 Personen (Schätzungen der Minderheitenorganisationen) geschätzt.
Die Kroaten, deren Vorfahren vor allem im 16. Jahrhundert nach Ungarn kamen,
haben sich dem Ungarischen über die Jahrhunderte weit gehend angepasst. Da
Kroatisch heute in den Medien und verschiedenen Kulturorganisationen nicht
besonders stark vertreten ist, wird die weitere Anpassung der Kroaten nur
geringfügig verlangsamt. Es scheint, dass die Weitergabe des Kroatischen von
Generation zu Generation unterbrochen ist. Allerdings werden Versuche
unternommen, den Sprachwechsel Kroatisch-Ungarisch durch die Einrichtung
muttersprachlicher kroatischer oder zweisprachiger kroatisch-ungarischer Schulen
entsprechend dem Bildungsgesetz umzukehren. Während die kroatische Bildung an
Vor- und Grundschulen erfolgreich verläuft, müssen noch weitere Anstrengungen
unternommen werden, um kroatische Schüler an kroatische Sekundarschulen zu
bringen. Doch selbst wenn dies Erfolg hätte, bliebe unklar, ob das den Gebrauch
des Kroatischen im Alltag der kroatischen Minderheit wieder beleben würde. Um
dies zu gewährleisten, müssen zusätzliche Maßnahmen in verschiedenen
Lebensbereichen der kroatischen Minderheit durchgeführt werden. Trotz des sehr
fortschrittlichen Minderheitengesetzes stehen derartige Maßnahmen noch aus. Die
Hauptgründe hierfür sind mangelnde Finanzierung, die offensichtliche Kluft
zwischen den Rechtsvorschriften und deren tatsächlicher Umsetzung in der Praxis
sowie die Überzeugung einiger Angehöriger der Minderheit, die kroatische Kultur
und Identität könnten auch ohne die kroatische Sprache überleben.
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