Euromosaik-Studie
Deutsch in der Slowakei
- Allgemeine Informationen
- Sprache
- Geschichte, Geografie und Demografie
- Gesetzlicher Status und offizielle Politik
- Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen Bereichen
- Schule
- Gerichtsverhandlungen
- Behörden und sonstige offizielle Stellen
- Massenmedien und Informationstechnologie
- Kunst und Kultur
- Wirtschaft
- Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
- Die europäische Dimension
- Zusammenfassung
1. Allgemeine Informationen
1.1 Sprache
Deutsch ist eine indoeuropäische Sprache und gehört zur Gruppe der
westgermanischen Sprachen. In der Slowakei werden mehrere Varianten des
Deutschen gesprochen. Die Vorkriegsgeneration und die unmittelbar nach dem Krieg
geborene Generation haben noch deutsche Dialekte österreichischer, bairischer
und mitteldeutsch-schlesischer Prägung gesprochen. Die deutsche Hochsprache
wurde der letztgenannten jedoch nur in Ausnahmefällen gezielt vermittelt, oder
sie hat sich Hochdeutschkenntnisse durch das Studium und/oder Aufenthalte im
deutschen Sprachraum erworben. In den deutschen Mundarten der
Nachkriegsgeneration sind wesentlich mehr Slowakismen zu finden als bei der
ältesten Generation. Die in der Slowakei gesprochene deutsche Sprache hat u.a.
Bohemismen, die für den Pressburger Dialekt typisch waren. In der Zips wurde die
deutsche Sprache durch die dort gesprochenen polnischen Mundarten beeinflusst.
1.2 Geschichte, Geografie und Demografie
Die deutsche Kolonisation der Gebiete der heutigen SR (damals Gebiete von
Oberungarn) beginnt Ende des 12. Jh.’s. Die Siedler kamen hauptsächlich aus dem
ostmittel- und süddeutschen sowie schlesischen Raum und besiedelten drei
Hauptgebiete: Pressburg [Bratislava], die westkarpatische Bergbauregion und das
sog. Zips-Gebiet mit den Zentren Kesmark [Kežmarok] und Göllnitz [Gelnica]. Der
Höhepunkt deutscher Besiedlung in der heutigen SR war im 15. Jh., als die Anzahl
der Deutschsprachigen 200.000-250.000 Personen (ca. 25% der Gesamtbevölkerung)
betrug. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die deutsche Sprache den Status einer
zweiten Amtssprache des damaligen Oberungarn erreicht. Die Bedeutung des
Deutschen nahm als Folge von Slowakisierung und Ungarisierung ab dem 16. Jh.
jedoch allmählich wieder ab. Bis zur Gründung der Tschechoslowakei 1918 waren
die Deutschen in der Slowakei ein Teil der ca. 2 Mio. Ungarndeutschen. Die
Situation der Deutschsprachigen in der Tschechoslowakei änderte sich gänzlich
nach dem zweiten Weltkrieg: Durch die Beneš-Dekrete wurden mehr als 3 Mio.
Deutsche vertrieben.
Laut dem letzten Zensus 2001 betrug die Anzahl derer, die deutsch als ihre
Nationalität angaben, 5.405 Personen (die Entwicklung seit 1880). Die Anzahl der
Personen, die Deutsch als ihre Muttersprache angaben, lag mit 6.343 Personen
etwas höher. Ab dem 15.-16. Jh. ist der Anteil der Deutschsprachigen in den
Gebieten der heutigen SR allmählich gesunken. Im Jahre 1880 betrug die
deutschsprachige Bevölkerung in der Slowakei noch 318.794 (12,8%), nach dem
ersten Weltkrieg 1921 145.844 (4,9%), bis sie nach der Abschiebung 1945 unter 1%
sank. Seit den 1960er Jahren ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung relativ
konstant bei 0,1%, d.h. ca. 5.000 Personen geblieben. Die Altersstruktur der
deutschen Minderheit ist im Hinblick auf die Reproduktion jedoch ungünstig, da
die über 65-Jährigen, die auch noch Deutsch beherrschen, überwiegen, während die
zahlenmäßig kleine jüngere Generation stark slowakisiert ist.
Die Deutschsprachigen in der SR bewohnen auch heute Teile ihrer
ursprünglichen Siedlungsgebiete. Ihre stärkste Konzentration ist in den Regionen
Pressburg und Kaschau zu finden, wo mehr als die Hälfte der Deutschsprachigen in
der SR leben. Der Rest lebt verstreut in verschiedenen Regionen der SR. Außer
der Slowakei leben Karpatendeutsche in Österreich und Deutschland sowie in
Nordamerika.
Aufgrund der heterogenen konfessionellen (Pressburg, Südwest- und
Mittelslowakei: römisch-katholisch; Zips: evangelisch-lutherisch) und
sprachlichen (mundartlichen) Herkunft der deutschsprachigen Minderheit prägte
kein starkes Bewusstsein nationaler Zugehörigkeit diese Minderheit in der
Slowakei nach Gründung der Tschechoslowakei. Auch wegen der geografischen
Entfernung der Siedlungsgebiete bestanden zwischen ihnen kaum Kontakte. In den
1920er Jahren wurden die Kontakte zu den stärker politisierten Sudentendeutschen
jedoch enger; z. B. die Entwicklung des deutschen Schulwesens in der
Tschechoslowakei wurde mehrheitlich von Sudentendeutschen getragen.
1.3 Gesetzlicher Status und offizielle Politik
In der Nachkriegstschechoslowakei wurde gegen die dort verbliebenen
Deutschsprachigen eine diskriminierende Politik ausgeübt. Außer der Enteignung
wurden die Deutschsprachigen in der Tschechoslowakei vor allem unmittelbar nach
dem Krieg gesellschaftlich ausgegrenzt, was bei vielen zum Identitätsverslust
und zur Identitätsverleugnung und damit zum Sprachwechsel führte. U.a. wurde
ihnen erst 1953 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Als
Minderheit wurden sie im Jahre 1968 anerkannt. Im Vergleich zu den im
tschechischen Teil der Tschechoslowakei lebenden Deutschsprachigen nutzte die
deutschsprachige Minderheit im slowakischen Teil die Möglichkeiten zur
kulturellen Sammlung nur in begrenztem Maße. Ab 1989 wurde der Problematik der
deutschen Minderheit in der Slowakei mehr Aufmerksamkeit zuteil, indem sie auch
seitens des Staates Unterstützung bekam. Seit 1995 sind die Deutschsprachigen in
der SR in der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten einbezogen.
Das Gesetz über den Gebrauch der Minderheitensprachen (1999) gilt auch für die
deutsche Sprache, die in der 150-Seelen-Ortschaft Blaufluß [Krahule] die 20%-Hürde
erreicht. Eine Senkung der Hürde, etwa auf 10%, würde bedeuten, dass 7 weitere
Ortschaften in den Geltungsbereich des Gesetzes kämen.
2. Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen
Bereichen
2.1 Schule
Aus der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und der
slowakischen Verfassung lässt sich das Recht auf Ausbildung in deutscher Sprache
ableiten. Laut dem Vorsitzenden des Karpatendeutschen Vereins gab es nach der
Wende 1989 auch im Bildungswesen einen Neuanfang. Deutsche und bilinguale
Schulen und Kindergärten wurden eingerichtet. Laut Eurydice gab es im Schuljahr
2002/2003 in der Slowakei eine deutschsprachige Primarschule. Außerdem gibt es
fünf Primarschulen mit slowakischsprachigem Unterricht in allen Fächern außer
Deutsch, das als Muttersprache unterrichtet wird. Im Frühjahr 2004 gab es
Verhandlungen zwischen Vertretern des Karpatendeutschen Vereins mit Vertretern
des slowakischen Schulministeriums, um die Klassen der o.g. Schulen unter
gemeinsame Verwaltung mit anderen Minderheitenschulen zu bringen. Außerdem wird
die Möglichkeit diskutiert, an zwei Gymnasien in Pressburg bilinguale Klassen
einzurichten. In der ganzen SR gibt es ca. 600.000 Schüler in der ersten bis
neunten Klassenstufe und von ihnen lernen ca. 340.000 Deutsch. Insgesamt lernten
im Schuljahr 1999/2000 10% aller Schüler im Primarunterricht und 51% der Schüler
im Sekundarunterricht Deutsch als Fremdsprache, das damit den zweiten Platz nach
Englisch als Fremdsprache an den Schulen einnimmt. Germanistik kann an mehreren
Universitäten in der Slowakei studiert werden: An der Comenius Universität
Pressburg, Matej-Bel-Universität in Banská Bystrica, an der Universität Tyrnau,
an der Universität Prešov und an der Universität Neutra. Außerdem werden
Deutschkurse an der Technischen Universität Kaschau und an der Cyril und
Methodius-Universität in Tyrnau angeboten.
2.2 Gerichtsverhandlungen
Bei Gerichtsverhandlungen kann laut der slowakischen Verfassung Deutsch als
Sprache einer nationalen Minderheit verwendet werden. Im offiziellen Umgang wird
jedoch überwiegend Slowakisch bevorzugt, außer eventuell in Gemeinden mit einem
höheren Anteil an Deutschsprachigen (Mundartsprechern) wird die Sprache auch in
der Öffentlichkeit gesprochen.
2.3 Behörden und sonstige offizielle Stellen
Für Behördengänge gilt das oben unter 2.2 genannte. Die 20%-Hürde des
Sprachgesetzen ermöglicht den Gebrauch der deutschen Sprache bei lokalen
Behörden nur im Dorf Blaufluß, wo etwa ein Viertel der 150 Einwohner
deutschsprachig sind. Hier sind auch die Ortstafeln zweisprachig.
2.4 Massenmedien und Informationstechnologie
Im Jahre 2000 wurde im slowakischen öffentlichen Fernsehen wöchentlich 1,9
Stunden und im slowakischen Radio 0,5 Stunden deutschsprachiges Programm
gesendet. Deutschsprachige Sendungen fallen unter die Zuständigkeit des im
Januar 1999 in Kaschau gegründeten Komitees der Nationalen Minderheiten.
Außerdem können Radio- und Fernsehsender aus Österreich und Deutschland
empfangen werden. Die deutschsprachigen Slowaken haben eine eigene monatlich
erscheinende deutschsprachige Zeitung, das Karpatenblatt (16 S.), das vom
Karpatendeutschen Verein herausgegeben wird. Das Blatt ist auch im Internet
verfügbar. Außerdem können in der SR auch deutsche und österreichische Zeitungen
gekauft werden. Die deutschsprachige periodische Presse in der SR erhielt im
Jahre 2000 vom slowakischen Ministerium für Kultur 800.000 SKK. In Deutschland
erscheint außerdem die Karpatenpost, die hauptsächlich Informationen über die
karpatendeutsche Kultur, verschiedene Veranstaltungen, Familiennachrichten und
kirchliche Nachrichten enthält. Im Internet ist die Präsenz der deutschen
Minderheit in der SR begrenzt. Der Karpatendeutsche Verein hat eine Homepage,
auf der kurz über die Karpatendeutschen sowie über verschiedene aktuelle Themen,
die karpatendeutsche Jugendorganisation IkeJA-KDJ und die Karpatendeutsche
Assoziation informiert wird. Außerdem gibt es Links zum Karpatenblatt und zum
Karpatendeutschen Museum in Pressburg.
2.5 Kunst und Kultur
Als Teil der historischen Abteilung des slowakischen Nationalmuseums wurde
das Museum der Kultur der Karpatendeutschen 1997 in Pressburg gegründet. Das
Museum arbeitet für die Bewahrung und Sammlung von Gegenständen der materiellen
und geistigen Kultur der Karpatendeutschen und veröffentlicht die
Publikationsreihe Acta Carpatho-Germanica, bei der bisher neun Bände erschienen
sind. Bei der deutschsprachigen Minderheit in der SR ist die Volkskultur
lebendig. Jährlich finden mehrere Volksfeste statt, seit 1996 u.a. das Kultur-
und Begegnungsfest Kesmark. In den Ortsgemeinschaften und Begegnungsstätten des
Karpatendeutschen Vereins sind viele Sing- und Tanzgruppen tätig. Die Redaktion
der Karpatendeutschen Arbeitsgemeinschaft in Deutschland gibt jährlich das
Karpatenjahrbuch (200-250 Seiten) heraus, das vorwiegend karpatendeutsche
Geschichte sowie Geschichten und Anekdoten enthält. Aus öffentlichen Mitteln des
slowakischen Ministeriums für Kultur wurden im Jahre 2000 insgesamt 1.267.500
SKK für deutsche Kulturaktivitäten zur Verfügung gestellt.
2.6 Wirtschaft
Die Verteilung der deutschsprachigen Minderheit in der Slowakei auf verschiedene
Berufgruppen entsprach anfangs in etwa der der Gesamtbevölkerung. Vor allem in
den westkarpatischen Regionen waren sie im Bergbau tätig. Schon vor dem zweiten
Weltkrieg zeigte sich eine Differenzierung gegenüber der slowakischsprachigen
Bevölkerung: Die Deutschsprachigen (57,6%) waren häufiger als die
Slowakischsprachigen (18,8%) in Industrie und Gewerbe vertreten, während eine
Beschäftigung in der Landwirtschaft bei der slowakischsprachigen (57,6%)
häufiger als der deutschsprachigen (29,2%) Bevölkerung vorkam. Neuere Angaben
gibt es lediglich aus den 1970er Jahren, als Juraj Valiska (1980, 1982) in
Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt über Reliktmundarten einige soziale
Daten erhob. Zu dieser Zeit waren beinahe 50% der deutschsprachigen Bevölkerung
in der Slowakei Rentner (2.320). Bei den Erwerbstätigen überwogen die
Berufsgruppen Angestellte (1.290) und Arbeiter (690). Neuere Erhebungen zur
Berufs- und Wirtschaftsstruktur der deutschsprachigen Minderheit liegen leider
nicht vor. (zur Wirtschaftsförderung heute)
2.7 Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
Im Jahre 1990 wurde der Karpatendeutsche Verein gegründet. Der Verein hat
seinen Sitz in Kaschau und ca. 4.500 Mitglieder in 32 Ortsgemeinschaften in fünf
Regionen: Pressburg, Hauerland (Mittelslowakei), Oberzips, Unterzips und
Bodwatal. Er setzt sich für die Förderung der deutschen Kultur, Revitalisierung
der deutschen Sprache und Unterstützung von Aktivitäten der Jugend der
deutschsprachigen Minderheit in der Slowakei ein. Außerdem agiert der Verein als
Herausgeber des Karpatenblatts sowie deutschsprachiger schöngeistiger Literatur,
Fachliteratur und Periodika. Der Karpatendeutsche Verein hat eine
Jugendorganisation, IkeJA-KDJ, die entstand, als im Februar 2004 die
Interessengruppe der Jugend (IkeJA: Internationale Kontakte – Jugendarbeit) und
die Jugend des KDV (KDJ) in einen Verein zusammengeschlossen wurden.
Um Fördermaßnahmen aus Deutschland an der deutschsprachigen Minderheit in der
SR besser durchführen zu können, wurde im Jahre 1993 die Karpatendeutsche
Stiftung gegründet, die im November 1997 in eine bürgerliche Vereinigung unter
dem Namen Karpatendeutsche Assoziation mit ihrem Sitz in Kaschau umgewandelt
wurde. Die Fördermaßnahmen bestehen vorwiegend in Wirtschaftsförderung kleiner
und mittlerer Privatunternehmen in den karpatendeutschen Regionen. Zwischen 1993
und 2001 flossen 107 Mio. SKK in 274 Betriebe als solche Fördergelder ein.
Sowohl in Deutschland als auch in Österreich bestehen Karpatendeutsche
Landsmannschaften. In Deutschland gibt es außerdem den Hilfsbund
Karpatendeutscher Katholiken, das Hilfskomitee für die Evangelisch-Lutherischen
Slowakeideutschen, Karpatendeutsches Kulturwerk Slowakei sowie die Redaktion der
Karpatenpost und des Karpatenjahrbuches.
2.8 Die europäische Dimension
In der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, die die SR 14.9.1995
ratifizierte, wird die deutsche Minderheit unter den 11 nationalen Minderheiten
erwähnt. Die Slowakei hat die Europäische Charta der Regional- oder
Minderheitensprachen im Falle des Deutschen in allen drei Teilen ratifiziert.
Den rechtlichen Rahmen für kulturelle Beziehungen bildet das deutsch-slowakische
Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit vom Mai 1997. In diesem Rahmen
unterstützt die deutsche Bundesregierung kulturpolitische und
gemeinschaftsfördernde Aktivitäten der deutschen Minderheit in der Slowakei. Die
Karpatendeutschen fungieren als Brücke im deutsch-slowakischen Verhältnis.
3. Zusammenfassung
Deutsch ist in der deutschsprachigen Minderheit vor allem eine Sprache
innerhalb der Familie. Obwohl die deutsche Minderheit in der Slowakei noch an
Überalterung leidet, kann das neu erwachte Interesse vor allem an
deutschsprachigen Schulen als positiv hinsichtlich der Reproduktion der
deutschen Sprache in der Slowakei angesehen werden. Die Schüler in den
bilingualen Schulen kommen mehrheitlich zwar nicht aus deutschsprachigen
Familien, erwerben durch den Schulbesuch jedoch eine hohe, muttersprachähnliche
Kompetenz in der deutschen Sprache. Abzuwarten bleibt dann noch, wie es den
Pädagogen an diesen Schulen gelingen wird, den Schülern nicht nur die deutsche,
sondern auch die karpaten-/slowakeideutsche Kultur zu vermitteln. Dies erscheint
für die Aufrechterhaltung der Besonderheiten der deutschen Kultur in der
Slowakei und den damit verbundenen Identitätsgefühlen notwendig.
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