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Euromosaik-Studie

Deutsch in der Slowakei

  1. Allgemeine Informationen
    1. Sprache
    2. Geschichte, Geografie und Demografie
    3. Gesetzlicher Status und offizielle Politik
  2. Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen Bereichen
    1. Schule
    2. Gerichtsverhandlungen
    3. Behörden und sonstige offizielle Stellen
    4. Massenmedien und Informationstechnologie
    5. Kunst und Kultur
    6. Wirtschaft
    7. Familie und sozialer Gebrauch der Sprache
    8. Die europäische Dimension
  3. Zusammenfassung

 

1. Allgemeine Informationen

1.1 Sprache

Deutsch ist eine indoeuropäische Sprache und gehört zur Gruppe der westgermanischen Sprachen. In der Slowakei werden mehrere Varianten des Deutschen gesprochen. Die Vorkriegsgeneration und die unmittelbar nach dem Krieg geborene Generation haben noch deutsche Dialekte österreichischer, bairischer und mitteldeutsch-schlesischer Prägung gesprochen. Die deutsche Hochsprache wurde der letztgenannten jedoch nur in Ausnahmefällen gezielt vermittelt, oder sie hat sich Hochdeutschkenntnisse durch das Studium und/oder Aufenthalte im deutschen Sprachraum erworben. In den deutschen Mundarten der Nachkriegsgeneration sind wesentlich mehr Slowakismen zu finden als bei der ältesten Generation. Die in der Slowakei gesprochene deutsche Sprache hat u.a. Bohemismen, die für den Pressburger Dialekt typisch waren. In der Zips wurde die deutsche Sprache durch die dort gesprochenen polnischen Mundarten beeinflusst.

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1.2 Geschichte, Geografie und Demografie

Die deutsche Kolonisation der Gebiete der heutigen SR (damals Gebiete von Oberungarn) beginnt Ende des 12. Jh.’s. Die Siedler kamen hauptsächlich aus dem ostmittel- und süddeutschen sowie schlesischen Raum und besiedelten drei Hauptgebiete: Pressburg [Bratislava], die westkarpatische Bergbauregion und das sog. Zips-Gebiet mit den Zentren Kesmark [Kežmarok] und Göllnitz [Gelnica]. Der Höhepunkt deutscher Besiedlung in der heutigen SR war im 15. Jh., als die Anzahl der Deutschsprachigen 200.000-250.000 Personen (ca. 25% der Gesamtbevölkerung) betrug. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die deutsche Sprache den Status einer zweiten Amtssprache des damaligen Oberungarn erreicht. Die Bedeutung des Deutschen nahm als Folge von Slowakisierung und Ungarisierung ab dem 16. Jh. jedoch allmählich wieder ab. Bis zur Gründung der Tschechoslowakei 1918 waren die Deutschen in der Slowakei ein Teil der ca. 2 Mio. Ungarndeutschen. Die Situation der Deutschsprachigen in der Tschechoslowakei änderte sich gänzlich nach dem zweiten Weltkrieg: Durch die Beneš-Dekrete wurden mehr als 3 Mio. Deutsche vertrieben.

Laut dem letzten Zensus 2001 betrug die Anzahl derer, die deutsch als ihre Nationalität angaben, 5.405 Personen (die Entwicklung seit 1880). Die Anzahl der Personen, die Deutsch als ihre Muttersprache angaben, lag mit 6.343 Personen etwas höher. Ab dem 15.-16. Jh. ist der Anteil der Deutschsprachigen in den Gebieten der heutigen SR allmählich gesunken. Im Jahre 1880 betrug die deutschsprachige Bevölkerung in der Slowakei noch 318.794 (12,8%), nach dem ersten Weltkrieg 1921 145.844 (4,9%), bis sie nach der Abschiebung 1945 unter 1% sank. Seit den 1960er Jahren ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung relativ konstant bei 0,1%, d.h. ca. 5.000 Personen geblieben. Die Altersstruktur der deutschen Minderheit ist im Hinblick auf die Reproduktion jedoch ungünstig, da die über 65-Jährigen, die auch noch Deutsch beherrschen, überwiegen, während die zahlenmäßig kleine jüngere Generation stark slowakisiert ist.

Die Deutschsprachigen in der SR bewohnen auch heute Teile ihrer ursprünglichen Siedlungsgebiete. Ihre stärkste Konzentration ist in den Regionen Pressburg und Kaschau zu finden, wo mehr als die Hälfte der Deutschsprachigen in der SR leben. Der Rest lebt verstreut in verschiedenen Regionen der SR. Außer der Slowakei leben Karpatendeutsche in Österreich und Deutschland sowie in Nordamerika.

Aufgrund der heterogenen konfessionellen (Pressburg, Südwest- und Mittelslowakei: römisch-katholisch; Zips: evangelisch-lutherisch) und sprachlichen (mundartlichen) Herkunft der deutschsprachigen Minderheit prägte kein starkes Bewusstsein nationaler Zugehörigkeit diese Minderheit in der Slowakei nach Gründung der Tschechoslowakei. Auch wegen der geografischen Entfernung der Siedlungsgebiete bestanden zwischen ihnen kaum Kontakte. In den 1920er Jahren wurden die Kontakte zu den stärker politisierten Sudentendeutschen jedoch enger; z. B. die Entwicklung des deutschen Schulwesens in der Tschechoslowakei wurde mehrheitlich von Sudentendeutschen getragen.

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1.3 Gesetzlicher Status und offizielle Politik

In der Nachkriegstschechoslowakei wurde gegen die dort verbliebenen Deutschsprachigen eine diskriminierende Politik ausgeübt. Außer der Enteignung wurden die Deutschsprachigen in der Tschechoslowakei vor allem unmittelbar nach dem Krieg gesellschaftlich ausgegrenzt, was bei vielen zum Identitätsverslust und zur Identitätsverleugnung und damit zum Sprachwechsel führte. U.a. wurde ihnen erst 1953 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Als Minderheit wurden sie im Jahre 1968 anerkannt. Im Vergleich zu den im tschechischen Teil der Tschechoslowakei lebenden Deutschsprachigen nutzte die deutschsprachige Minderheit im slowakischen Teil die Möglichkeiten zur kulturellen Sammlung nur in begrenztem Maße. Ab 1989 wurde der Problematik der deutschen Minderheit in der Slowakei mehr Aufmerksamkeit zuteil, indem sie auch seitens des Staates Unterstützung bekam. Seit 1995 sind die Deutschsprachigen in der SR in der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten einbezogen. Das Gesetz über den Gebrauch der Minderheitensprachen (1999) gilt auch für die deutsche Sprache, die in der 150-Seelen-Ortschaft Blaufluß [Krahule] die 20%-Hürde erreicht. Eine Senkung der Hürde, etwa auf 10%, würde bedeuten, dass 7 weitere Ortschaften in den Geltungsbereich des Gesetzes kämen.

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2. Präsenz und Gebrauch der Sprache in verschiedenen Bereichen

2.1 Schule

Aus der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen und der slowakischen Verfassung lässt sich das Recht auf Ausbildung in deutscher Sprache ableiten. Laut dem Vorsitzenden des Karpatendeutschen Vereins gab es nach der Wende 1989 auch im Bildungswesen einen Neuanfang. Deutsche und bilinguale Schulen und Kindergärten wurden eingerichtet. Laut Eurydice gab es im Schuljahr 2002/2003 in der Slowakei eine deutschsprachige Primarschule. Außerdem gibt es fünf Primarschulen mit slowakischsprachigem Unterricht in allen Fächern außer Deutsch, das als Muttersprache unterrichtet wird. Im Frühjahr 2004 gab es Verhandlungen zwischen Vertretern des Karpatendeutschen Vereins mit Vertretern des slowakischen Schulministeriums, um die Klassen der o.g. Schulen unter gemeinsame Verwaltung mit anderen Minderheitenschulen zu bringen. Außerdem wird die Möglichkeit diskutiert, an zwei Gymnasien in Pressburg bilinguale Klassen einzurichten. In der ganzen SR gibt es ca. 600.000 Schüler in der ersten bis neunten Klassenstufe und von ihnen lernen ca. 340.000 Deutsch. Insgesamt lernten im Schuljahr 1999/2000 10% aller Schüler im Primarunterricht und 51% der Schüler im Sekundarunterricht Deutsch als Fremdsprache, das damit den zweiten Platz nach Englisch als Fremdsprache an den Schulen einnimmt. Germanistik kann an mehreren Universitäten in der Slowakei studiert werden: An der Comenius Universität Pressburg, Matej-Bel-Universität in Banská Bystrica, an der Universität Tyrnau, an der Universität Prešov und an der Universität Neutra. Außerdem werden Deutschkurse an der Technischen Universität Kaschau und an der Cyril und Methodius-Universität in Tyrnau angeboten.

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2.2 Gerichtsverhandlungen

Bei Gerichtsverhandlungen kann laut der slowakischen Verfassung Deutsch als Sprache einer nationalen Minderheit verwendet werden. Im offiziellen Umgang wird jedoch überwiegend Slowakisch bevorzugt, außer eventuell in Gemeinden mit einem höheren Anteil an Deutschsprachigen (Mundartsprechern) wird die Sprache auch in der Öffentlichkeit gesprochen.

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2.3 Behörden und sonstige offizielle Stellen

Für Behördengänge gilt das oben unter 2.2 genannte. Die 20%-Hürde des Sprachgesetzen ermöglicht den Gebrauch der deutschen Sprache bei lokalen Behörden nur im Dorf Blaufluß, wo etwa ein Viertel der 150 Einwohner deutschsprachig sind. Hier sind auch die Ortstafeln zweisprachig.

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2.4 Massenmedien und Informationstechnologie

Im Jahre 2000 wurde im slowakischen öffentlichen Fernsehen wöchentlich 1,9 Stunden und im slowakischen Radio 0,5 Stunden deutschsprachiges Programm gesendet. Deutschsprachige Sendungen fallen unter die Zuständigkeit des im Januar 1999 in Kaschau gegründeten Komitees der Nationalen Minderheiten. Außerdem können Radio- und Fernsehsender aus Österreich und Deutschland empfangen werden. Die deutschsprachigen Slowaken haben eine eigene monatlich erscheinende deutschsprachige Zeitung, das Karpatenblatt (16 S.), das vom Karpatendeutschen Verein herausgegeben wird. Das Blatt ist auch im Internet verfügbar. Außerdem können in der SR auch deutsche und österreichische Zeitungen gekauft werden. Die deutschsprachige periodische Presse in der SR erhielt im Jahre 2000 vom slowakischen Ministerium für Kultur 800.000 SKK. In Deutschland erscheint außerdem die Karpatenpost, die hauptsächlich Informationen über die karpatendeutsche Kultur, verschiedene Veranstaltungen, Familiennachrichten und kirchliche Nachrichten enthält. Im Internet ist die Präsenz der deutschen Minderheit in der SR begrenzt. Der Karpatendeutsche Verein hat eine Homepage, auf der kurz über die Karpatendeutschen sowie über verschiedene aktuelle Themen, die karpatendeutsche Jugendorganisation IkeJA-KDJ und die Karpatendeutsche Assoziation informiert wird. Außerdem gibt es Links zum Karpatenblatt und zum Karpatendeutschen Museum in Pressburg.

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2.5 Kunst und Kultur

Als Teil der historischen Abteilung des slowakischen Nationalmuseums wurde das Museum der Kultur der Karpatendeutschen 1997 in Pressburg gegründet. Das Museum arbeitet für die Bewahrung und Sammlung von Gegenständen der materiellen und geistigen Kultur der Karpatendeutschen und veröffentlicht die Publikationsreihe Acta Carpatho-Germanica, bei der bisher neun Bände erschienen sind. Bei der deutschsprachigen Minderheit in der SR ist die Volkskultur lebendig. Jährlich finden mehrere Volksfeste statt, seit 1996 u.a. das Kultur- und Begegnungsfest Kesmark. In den Ortsgemeinschaften und Begegnungsstätten des Karpatendeutschen Vereins sind viele Sing- und Tanzgruppen tätig. Die Redaktion der Karpatendeutschen Arbeitsgemeinschaft in Deutschland gibt jährlich das Karpatenjahrbuch (200-250 Seiten) heraus, das vorwiegend karpatendeutsche Geschichte sowie Geschichten und Anekdoten enthält. Aus öffentlichen Mitteln des slowakischen Ministeriums für Kultur wurden im Jahre 2000 insgesamt 1.267.500 SKK für deutsche Kulturaktivitäten zur Verfügung gestellt.

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2.6 Wirtschaft

Die Verteilung der deutschsprachigen Minderheit in der Slowakei auf verschiedene Berufgruppen entsprach anfangs in etwa der der Gesamtbevölkerung. Vor allem in den westkarpatischen Regionen waren sie im Bergbau tätig. Schon vor dem zweiten Weltkrieg zeigte sich eine Differenzierung gegenüber der slowakischsprachigen Bevölkerung: Die Deutschsprachigen (57,6%) waren häufiger als die Slowakischsprachigen (18,8%) in Industrie und Gewerbe vertreten, während eine Beschäftigung in der Landwirtschaft bei der slowakischsprachigen (57,6%) häufiger als der deutschsprachigen (29,2%) Bevölkerung vorkam. Neuere Angaben gibt es lediglich aus den 1970er Jahren, als Juraj Valiska (1980, 1982) in Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt über Reliktmundarten einige soziale Daten erhob. Zu dieser Zeit waren beinahe 50% der deutschsprachigen Bevölkerung in der Slowakei Rentner (2.320). Bei den Erwerbstätigen überwogen die Berufsgruppen Angestellte (1.290) und Arbeiter (690). Neuere Erhebungen zur Berufs- und Wirtschaftsstruktur der deutschsprachigen Minderheit liegen leider nicht vor. (zur Wirtschaftsförderung heute)

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2.7 Familie und sozialer Gebrauch der Sprache

Im Jahre 1990 wurde der Karpatendeutsche Verein gegründet. Der Verein hat seinen Sitz in Kaschau und ca. 4.500 Mitglieder in 32 Ortsgemeinschaften in fünf Regionen: Pressburg, Hauerland (Mittelslowakei), Oberzips, Unterzips und Bodwatal. Er setzt sich für die Förderung der deutschen Kultur, Revitalisierung der deutschen Sprache und Unterstützung von Aktivitäten der Jugend der deutschsprachigen Minderheit in der Slowakei ein. Außerdem agiert der Verein als Herausgeber des Karpatenblatts sowie deutschsprachiger schöngeistiger Literatur, Fachliteratur und Periodika. Der Karpatendeutsche Verein hat eine Jugendorganisation, IkeJA-KDJ, die entstand, als im Februar 2004 die Interessengruppe der Jugend (IkeJA: Internationale Kontakte – Jugendarbeit) und die Jugend des KDV (KDJ) in einen Verein zusammengeschlossen wurden.

Um Fördermaßnahmen aus Deutschland an der deutschsprachigen Minderheit in der SR besser durchführen zu können, wurde im Jahre 1993 die Karpatendeutsche Stiftung gegründet, die im November 1997 in eine bürgerliche Vereinigung unter dem Namen Karpatendeutsche Assoziation mit ihrem Sitz in Kaschau umgewandelt wurde. Die Fördermaßnahmen bestehen vorwiegend in Wirtschaftsförderung kleiner und mittlerer Privatunternehmen in den karpatendeutschen Regionen. Zwischen 1993 und 2001 flossen 107 Mio. SKK in 274 Betriebe als solche Fördergelder ein. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich bestehen Karpatendeutsche Landsmannschaften. In Deutschland gibt es außerdem den Hilfsbund Karpatendeutscher Katholiken, das Hilfskomitee für die Evangelisch-Lutherischen Slowakeideutschen, Karpatendeutsches Kulturwerk Slowakei sowie die Redaktion der Karpatenpost und des Karpatenjahrbuches.

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2.8 Die europäische Dimension

In der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten, die die SR 14.9.1995 ratifizierte, wird die deutsche Minderheit unter den 11 nationalen Minderheiten erwähnt. Die Slowakei hat die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen im Falle des Deutschen in allen drei Teilen ratifiziert. Den rechtlichen Rahmen für kulturelle Beziehungen bildet das deutsch-slowakische Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit vom Mai 1997. In diesem Rahmen unterstützt die deutsche Bundesregierung kulturpolitische und gemeinschaftsfördernde Aktivitäten der deutschen Minderheit in der Slowakei. Die Karpatendeutschen fungieren als Brücke im deutsch-slowakischen Verhältnis.

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3. Zusammenfassung

Deutsch ist in der deutschsprachigen Minderheit vor allem eine Sprache innerhalb der Familie. Obwohl die deutsche Minderheit in der Slowakei noch an Überalterung leidet, kann das neu erwachte Interesse vor allem an deutschsprachigen Schulen als positiv hinsichtlich der Reproduktion der deutschen Sprache in der Slowakei angesehen werden. Die Schüler in den bilingualen Schulen kommen mehrheitlich zwar nicht aus deutschsprachigen Familien, erwerben durch den Schulbesuch jedoch eine hohe, muttersprachähnliche Kompetenz in der deutschen Sprache. Abzuwarten bleibt dann noch, wie es den Pädagogen an diesen Schulen gelingen wird, den Schülern nicht nur die deutsche, sondern auch die karpaten-/slowakeideutsche Kultur zu vermitteln. Dies erscheint für die Aufrechterhaltung der Besonderheiten der deutschen Kultur in der Slowakei und den damit verbundenen Identitätsgefühlen notwendig.

 

zuletzt aktualisiert: 27-10-2006