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Google, Facebook, Evernote: Arbeiten im Wellness-Park

Foto: Corbis

Arbeiten im Silicon Valley Wann ist endlich wieder Montag?

Kegelbahn und Autowaschanlage, Pediküre und Massage: Die Tech-Konzerne im Silicon Valley verwöhnen ihre Mitarbeiter nach Strich und Faden. Für viele ist das Büro das bessere Zuhause.

Linda Kozlowski fährt im Evernote-Pendelbus von ihrer Wohnung in San Francisco zur Arbeit in Redwood City. Die Fahrt ins Silicon Valley kann je nach Verkehr auf dem Highway 101 eineinhalb Stunden dauern. Wenn ihr nach Arbeiten ist, kein Problem: Wie alle Shuttles von Silicon-Valley-Firmen verfügt der Bus über W-Lan. Frühstücken kann die Mitarbeiterin des Online-Notizen-Diensts umsonst im Job, zu Mittag essen auch, naschen sowieso.

Was übrig bleibt, darf mit nach Hause genommen werden. Evernote serviert keinen Kantinenfraß. Fünf Mal die Woche kommt ein Caterer, immer ein anderer.

An diesem sonnig-warmen Märztag grillt der hippe Metzger 4505 Meats aus San Francisco im Garten Chicken Beer Sausages und Cheddar Bratwurst. Dazu gibt es Kartoffelsalat und ein Dutzend andere Salatsorten. Hinter dem grün überwucherten Zaun rauscht die achtspurige Autobahn.

Dienstags um 15 Uhr ist jeweils "Tea Time", dann werden in der lichtdurchfluteten Eingangshalle Tee und Kekse serviert. Wer was Stärkeres braucht, dem wird aus der dort aufgestellten Marzocco ein Espresso oder Caffè Latte gezaubert. Gerne auch vom Evernote-CEO Phil Libin. "Wir alle können von Baristas lernen, wie man Kaffeegetränke richtig zubereitet", sagt Kozlowski. Bei Tee und Kaffee plaudern die Mitarbeiter mit den Managern, das schafft Nähe, bindet.

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Freizeit ohne Ende: 1000 Dollar, wenn ihr endlich Urlaub macht

Foto: SPIEGEL ONLINE

Genau so wie die großzügige Urlaubsregelung. Jeder Evernote-Mitarbeiter kriegt jährlich 1000 Dollar für die Ferien und kann soviel Urlaub nehmen, wie er angemessen findet. Jeder Mitarbeiter erhält ein Fitbit-Fitnessarmband, es gibt ein Fitnesstudio und Tischtennis, und wer einen Nissan Leaf kauft, kriegt den subventioniert. Das Elektroauto, das in den weniger verstopften Carpool-Spuren in Kalifornien fahren darf, kann selbstverständlich kostenlos in der Firmengarage geladen werden.

Evernote bezahlt zudem jedem Mitarbeiter alle zwei Wochen eine Putzfrau. "All diese Annehmlichkeiten erleichtern unser Leben, so sind wir weniger abgelenkt", erklärt Kozlowski, die bei Evernote das internationale Marketing verantwortet. "Wenn wir nicht daran denken müssen, dass wir täglich drei Stunden unproduktiv im Auto im Stau stehen oder dass wir am Abend noch die Wohnung reinigen sollten, sind wir entspannter und können uns mehr auf die Arbeit konzentrieren."

Eine Mischung aus Campus und Ferienresort

Die Annehmlichkeiten von Evernote sind kein Sonderfall im Silicon Valley. Hier, wo manches Firmengelände einer Mischung aus Uni-Campus und Ferienresort ähnelt, sind sie die Regel. Angesichts des akuten Mangels an Spitzen- und Nachwuchskräften wird viel getan, um Mitarbeiter zu kapern und ans Unternehmen zu fesseln.

Im Kampf um die klugen Köpfe ist der Katalog an Annehmlichkeiten der "Mindesteinsatz", sagt Scott Reese, Verantwortlicher der Cloud-Plattform beim Software-Konzern Autodesk.

Zwar entscheidet sich kein Software-Entwickler für einen Job, weil kostenloses Sushi, eine Versicherung für den Hund, 4000 Dollar "Baby-Cash" für werdende Eltern, Massagen oder eine Bierschankanlage im Büro winken. Aber wer solche Incentives nicht bietet, braucht gar nicht erst Bewerbungsgespräche führen.

Das Resultat der Verwöhnprogramme: Der Arbeitsplatz wird immer mehr zum Zuhause, einschließlich vom Unternehmen organisierter Abend- und Wochenendprogramme. "Es ist wichtig, dass das Unternehmen eine Familie ist, dass die Menschen sich als Teil des Unternehmens fühlen und das Unternehmen wie eine Familie für sie ist", sagte Google-Vorstandschef Larry Page vor zwei Jahren in einem Interview.

Die "glücklichste und gesündeste Belegschaft" auf Erden

Der Technologiekonzern, der fast 48.000 Familienangehörige hat und auf knapp 59 Milliarden Dollar Bargeld sitzt, brachte das kostspielige Komfort-Wettrüsten vor Jahren in Gang. Er hat die Messlatte für die Konkurrenz hoch angesetzt. Google will die "glücklichste und gesündeste Belegschaft" auf Erden haben. Die Philosophie wird in den Google-Büros weltweit umgesetzt - aber nirgends so effektiv wie im Googleplex in Mountain View.

Das Hauptquartier von Google in der zersiedelten Landschaft zwischen dem Highway 101 und der San Francisco Bay ist ein imitiertes Paradies in der Sonne. Es gibt eine Beachvolleyball-Anlage, sieben Fitnesscenter, Kickerkasten, eine Kletterwand, eine Kegelbahn und von Mitarbeitern gepflegte Gemüse- und Kräutergärten für die Köche, die in etwa 30 Restaurants kostenlos vor allem gesunde Kost zubereiten.

20.000 vorwiegend junge Mitarbeiter schwirren zwischen gepflegten Rasenflächen von einem Gebäude zum anderen, viele auf bunten Fahrrädern mit Körbchen am Lenker.

Sie können zum Arzt, Zahnarzt, Psychologen, Friseur, Masseur, zum Pilates, in die Reinigung oder das Auto waschen und Öl wechseln lassen, ohne je den Campus verlassen zu müssen. Wer doch mal raus muss, kann für mehrere Stunden eines der Elektroautos der Google-Flotte ausleihen. Wer nicht mit dem Auto pendeln will, nutzt einen der vernetzten Google-Busse, Hybridautos werden subventioniert und kostenlos geladen.

In Kursen wird Googlern Stressmanagement oder Verhandlungskunst beigebracht, Berühmtheiten wie Barack Obama, Hillary Clinton, Lady Gaga, Henry Kissinger, George Soros oder David Beckham kommen für Reden und Interviews vorbei.

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Google-Werkstätten: "Alles Gute kommt aus einer Garage"

Foto: Marcio Jose Sanchez/ AP

Alles ist kostenlos oder subventioniert. Und damit alle Googler wissen, was in ihrem weitverzweigten Konzern läuft, sitzen die Gründer Larry Page und Sergey Brin einmal die Woche in der Google-Kantine und erzählen, was in der Woche los war. Danach dürfen Fragen gestellt werden. Wer all dem entfliehen will, kann in Werkstätten ganz analog bohren, schleifen, sägen und schweißen oder in einer der diskret abgeschirmten Kuschelecken ein Nickerchen einlegen.

Ein Umfeld, das keiner verlassen wolle, sei eine extreme Version der unternehmerischen Wellness-Programme, sagt Anne Weisberg vom Families and Work Institute in New York: "Es reflektiert die Werte der Gründer. Sie wollen einen Arbeitsplatz erschaffen, an dem alle derart vernetzt, ihre Leben derart vom Unternehmen definiert sind, dass sie gar nicht mehr weg wollen."

Unternehmen wie Google versuchten damit nicht nur im hart umkämpften Markt Technologen zu rekrutieren und zu halten, sagt die frühere Human-Resource-Managerin: "Die Konflikte zwischen der Arbeit und dem Privatleben sollen mit Angeboten wie alternativen Transportmöglichkeiten oder Mahlzeiten, die abends mit nach Hause genommen werden können, vermindert werden. Die Zusatzleistungen sollen die Produktivität und Kreativität erhöhen und werden als wichtiger Teil der langfristigen Zukunftsfähigkeit betrachtet."

Kleinformatiges Disneyland im Niemandsland

Zwölf Kilometer nordwestlich vom Google-Campus ist Facebook zu Hause. Der Campus liegt im Niemandsland von Menlo Park, zwischen dem sechsspurigen Bayfront Expressway und den Salzmärschen der San Francisco Bay. Elf Zweckbauten umgeben asphaltierte Fußwege und einen Platz, Hacker Square genannt. Es wirkt alles wie ein kleinformatiges Disneyland, das artifizielle Zentrum einer heilen amerikanischen Kleinstadt.

Es gibt Cafés, Restaurants, eine Eisdiele, einen Gym, Spielhalle, eine kleine Klinik, einen Chiropraktiker, eine Fahrradwerkstatt, eine Schreinerei, eine Druckerei namens Analog Research Lab, einen Friseur und eine Reinigung.

Die 3000 Facebook-Mitarbeiter können am 1 Hacker Way drei Mal täglich kostenlos essen, ihre Familie zum Essen auf den Campus bringen oder eine subventionierte Maniküre und Pediküre genießen. Auf einer riesigen Leinwand auf dem Hacker Square wird alle zwei Wochen abends ein Film gezeigt.

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Spektakuläre Büros: Arbeitest du noch oder wohnst du hier schon?

Foto: Hassell/ Foto: Pirak Anurakyawachon/ Gestalten

Die agile Belegschaft (Durchschnittsalter: 26) muss nicht in den Großraumbüros an langen Tischen arbeiten, der gesamte Campus hat W-Lan. An diesem sehr warmen Mittwochnachmittag sitzen Mitarbeiter auf Liegestühlen und Sesseln, die Laptops und iPads auf den Knien. "Es geht uns darum, dass die Mitarbeiter sich wohlfühlen, wir ihnen Alltagsstress abnehmen und sie sich beruflich und privat aufs Wesentliche konzentrieren können", erklärt HR-Managerin Janelle Gale.

Dazu gehören auch bis zu 5000 Dollar für Adoptionen, 4000 Dollar für Kinderwagen und andere Notwendigkeiten für werdende Eltern, vier Monate Elternurlaub und Kinderbetreuung für Notfälle. "Wenn meine Tochter krank ist und nicht in die Kita kann, rufe ich eine Nummer an und ein Facebook-Dienst schickt uns eine Kinderbetreuerin", sagt Tom Stocky, der bei Facebook für die Suchtechnologie verantwortlich ist. "All diese Leistungen geben mir das Gefühl, dass meine Familie eine natürliche Erweiterung meines Jobs ist."

Facebook-Mitarbeiter sind Facebook-Freunde, jeder erfährt dank der institutionalisierten Mitteilsamkeit private Details über die Kollegen. "Es ist irgendwie schräg - man arbeitet bei Facebook, nutzt Facebook täglich und ist mit allen hier auf Facebook befreundet - es lässt die Grenzen verschwimmen", sagt Stocky, der 120 Leute unter sich hat.

Aber für ihn ist das alles wünschenswert: "Wie happy man in der Arbeit ist, hängt meist von den Kollegen ab. Es ist in der Regel positiv, wenn man sie besser kennenlernt."

Stocky, in die Facebook-Uniform Jeans, T-Shirt und Turnschuhe gekleidet, sitzt in einem Facebook-Konferenzraum. An den Wänden hängen wie überall auf dem Campus Poster mit nicht immer ernst gemeinten Botschaften und Motivationssprüchen, die im Analog Research Lab gedruckt werden. "Remember, meetings were made for laughter", steht auf einem.

Stocky kam im Jahr 2011 zu Facebook, davor war er sechs Jahre bei Google. Zu Facebook sei er nicht wegen des Friseurs oder einer der anderen Annehmlichkeiten gewechselt. "Aber sie signalisieren, dass das Unternehmen versteht, dass seine Mitarbeiter sein Wettbewerbsvorteil sind. Diese Kultur baut das Vertrauen zwischen den Mitarbeitern und dem Unternehmen auf."

Wenn der Freundeskreis nur aus Kollegen besteht

Eine der Folgen der Verhätschelung in diesen vollfunktionierenden, selbstbezogenen Unternehmensgemeinden ist komfortable Isolation. Sie verhindert selbst zufällige Kontakte der Tech-Arbeiter mit ihrer Umwelt außerhalb ihrer nur mit Badges zugänglichen Enklaven.

LinkedIn etwa hilft den Mitarbeitern mit Freizeitprogrammen beim Aufbau eines Freundeskreises. Der setzt sich gezwungenermaßen aus lauter LinkedIn-Kollegen zusammen. "Für die von uns im ganzen Land rekrutierten College-Absolventen, die hier keinen kennen, ist LinkedIn ihr soziales Umfeld", sagt Nina McQueen, die beim Karriere-Kontaktnetzwerk in Mountain View für Zusatzleistungen zuständig ist.

Das Resultat von so viel Betreuung? "Jeder Aspekt meines Leben ist mit der Arbeit verbandelt, inklusive meines gesellschaftlichen Lebens und der Partnersuche", sagt ein ehemaliger Google-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte. Das Tempo im Silicon Valley, wo brillante Menschen in kleinen Start-ups und Konzernen in Höchstgeschwindigkeit an einem kulturellen Wandel nach dem anderen basteln, ist eine Herausforderung für den, der Balance sucht.

Balance zwischen Arbeit und Privatleben, zwischen der Tech-Welt und allem anderen. "Jeder hier denkt, dass er die Welt revolutioniert, und diese Denke nimmt bei vielen das ganze Spektrum ein, über was anderes wird kaum geredet", sagt der Ex-Googler.

Seine Nicht-Google-Freunde hätten ihn schon gar nicht mehr gefragt, ob er mit zum Essen geht, beschreibt der Programmierer ein Silicon-Valley-weites Phänomen: "Sie wussten, dass ich abends satt oder mit einem von den Google-Köchen zubereiteten Essen aus dem Google-Bus steige."

"Arbeite für uns und du gehörst zu den Ersten, die ewig leben"

Die Abkapselung vergrößert zudem den Graben zwischen den betüddelten Angestellten der Technologiekonzerne und anderen Bürgern in der Bay Area, die mit stagnierenden Gehältern und steigenden Lebenshaltungskosten wie Mieten kämpfen. Der bei jeder Boomphase einsetzende Streit brodelt seit einem Jahr wieder, und selbst Campus-lose Unternehmen wie Twitter sind Zielscheibe des Zorns. Der Kurznachrichtendienst residiert zwar mitten in San Francisco, an einem (noch) nicht-gentrifizierbaren Abschnitt der Market Street, wo Obdachlose und schäbige Gebäude dominieren.

Dennoch ist er stark nach innen orientiert. Die Twitter-Büros belegen drei aufwendig renovierte Etagen eines Art-déco-Gebäudes mit großzügigem Dachgarten. Sie werden morgens und mittags mit hervorragendem Essen bekocht, können sich massieren lassen und Yoga- und Pilateskurse besuchen.

Für die Mitarbeiter gibt es keinen Grund, sich auf die Market Street hinunterzubegeben, wo die kulinarische Vielfalt nicht an die Kantine heranreicht und sie mit der Realität der weniger Wohlhabenden konfrontiert werden.

"Firmen wie Google und Facebook - die neue Elite - können eine neue Norm schaffen, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter behandeln", sagt Jan English-Lueck, Professorin für Anthropologie an der San José State University im Silicon Valley. Eine wichtige Frage sei für sie aber nicht beantwortet, sagt English-Lueck, die seit Jahren die kulturellen Eigenheiten des Silicon Valley untersucht: "Wird damit eine zusätzliche Ebene der Ungleichheit geschaffen mit einer bestens versorgten Elite-Arbeiterschaft und einer Art Lumpenproletariat-Belegschaft, die nie in den Genuss solcher Programme kommen wird?"

Google kann der neuen Elite möglicherweise irgendwann die ultimative Annehmlichkeit bieten: ein längeres Leben oder sogar Unsterblichkeit. Larry Page verkündete vergangenen September die Gründung des Start-ups Calico, das neue Medikamente erforschen und nach einem Heilmittel gegen das Altern suchen soll. Chef des von Google finanzierten Start-ups ist der frühere CEO des kalifornischen Biotech-Pioniers Genentech Arthur Levinson.

Wenige Biochemiker sind so ideal am Schnittpunkt zwischen Medizin und Technologie positioniert wie Levinson. Er ist weiterhin Verwaltungsratschef von Genentech und sitzt im Verwaltungsrat der Genentech-Mutter Roche und von Apple. Von 2004 bis 2009 war er zudem Aufsichtsratsmitglied von Google. "Das wäre das effektivste Rekrutierungswerkzeug im Silicon Valley: Arbeite für uns und gehöre zu den Ersten, die ewig leben", frotzelt Steve Faktor von der New Yorker Innovationsberatung IdeaFaktory.

Der Beitrag erschien zuerst auf manager-magazin.de